CRM Trends 2012: Ein Geben und Nehmen – Wie kommen Unternehmen an Kundendaten und was geben sie dafür?
Launige Worte zum Einstieg: Spannenderweise rede ich auf Veranstaltungen immer mehr über das Thema der Generierung von Kundendaten. Zu diesem Thema haben Phil und ich zu Beginn des Jahres ein Whitepaper geschrieben. Die Grundgedanken dazu sollen hier einmal vorgestellt werden:
Geben und Nehmen - über die Bedeutung der Reziprozität beim Datensammeln
Die neuen sozialen Medien haben den
Kommunikationsprozess zwischen Kunden und Unternehmen verändert. Kunden sind
nicht länger passive Rezipienten der Werbebotschaften, die das Unternehmen
aussendet, sondern kommunizieren auch via Internet mit dem Unternehmen. Dabei
sind sie sich des Wertes ihrer Daten mehr und mehr bewusst. Sie sind
vorsichtiger, wenn es darum geht, private Angaben mitzuteilen. Dennoch können
wir systematisch Daten von der offenkundigen bis zur persönlichsten Ebene
sammeln, wenn wir akzeptieren, dass der Kunde für seine wertvollen Angaben eine
Gegenleistung braucht. Führende Unternehmen stellen derzeit faktenbasierte
Datensätze zusammen, die sie an den von den Kunden präferierten Touchpoints
(Kontaktpunkten) gesammelt haben. So können sie mit dem Einzelnen eine
individuelle, ernstzunehmende Kommunikation führen – auch wenn sie nicht alles
über ihr Gegenüber wissen.
Das Marketing versucht seit langem,
soviel Informationen wie möglich über jeden einzelnen Kunden zu sammeln. Oft
allerdings gab es nur enttäuschende Resultate. Das überrascht. Wenn die Kunden
so daran interessiert sind, einen individuellen Dialog mit ihren potentiellen
Verkäufern oder Lieferanten zu führen, warum geizen sie dann mit Informationen?
Und selbst wenn man Informationen bekommt, warum ist es trotzdem so schwer, Individuen
aufgrund ihrer Bedürfnisse zu identifizieren?
Eine Ursache liegt wahrscheinlich
in der menschlichen Natur und der Notwendigkeit des Tauschhandels, die wir in
allen Kulturen beobachten können. Anthropologen sprechen vom Grundsatz der
Gegenseitigkeit. Die Basis der meisten Wirtschaftsformen ist der informelle und
faire Austausch von Waren oder Dienstleistungen. Dieses Konzept ist nicht neu, sondern
extrem gut erforscht und dokumentiert. Marshall Sahlins, ein bekannter amerikanischer
Anthropologe, hat in seinem Buch „Stone Age Economics“ als erster drei Typen
von Gegenseitigkeit definiert. „Ausgewogene Gegenseitigkeit“ bedeutet demnach,
jemand gibt einem anderen etwas von Wert und erwartet dafür eine angemessene
Gegenleistung.
Das Neue an unserem heutigen
Verständnis von Gegenseitigkeit ist der Wert, den wir unseren persönlichen
Daten beimessen. Sie gehören zu unserem wertvollsten Besitz. Wenn wir sie teilen,
müssen wir etwas mindestens Gleichwertiges dafür bekommen. Und wir müssen
sicher sein, dass der Empfänger wertschätzend mit ihnen umgeht und sie nicht
missbraucht. Das Einhalten von Datenschutzrichtlinien ist also eine Frage der
Notwendigkeit. Zwischen Kunde und Unternehmen muss also ein Geben und Nehmen
etabliert werden.
Dabei hat ein Unternehmen
gesamthaft sieben Möglichkeiten, von denen hier vier beschrieben werden sollen:
1. Bekommen: Im einfachsten Fall muss der Kunde
eine Information nicht aktiv mitteilen, um an einen (mitunter unerwarteten)
Vorteil zu gelangen. Die britische Supermarktkette Sainbury’s ist ein Meister
im Verteilen personalisierter Rabatt-Coupons. Die Daten, die Sainsbury’s aus ihrem
NECTAR Bonuspunkt-Programm herausliest, erlauben Rückschlüsse auf Bedürfnisse
und Einkaufsgewohnheiten der Kunden. Bis dahin ist es noch ein traditioneller Customer
Intelligence Prozess. Sainsbury’s aber hat diesen noch weiter perfektioniert.
Basierend auf dem Vergleich mit ähnlichen Warenkörben von NECTAR-Kunden BEKOMMT
man im Augenblick des Bezahlens an der Kasse namhafte Rabatte oder auf die
eigenen Bedürfnisse zugeschnittene Sonderangebote, selbst wenn man nicht
Teilnehmer ist.
Dieses BEKOMMEN ist nicht das
Gleiche wie bei Promotion-Aktionen für den Massenmarkt, wenn etwa Coca-Cola die
neueste Limonade an jeden verteilt, der am Bahnhof zur richtigen Zeit am
richtigen Platz steht. Beim BEKOMMEN-Prinzip nutzt ein Unternehmen
Informationen, die es im Laufe der Kundenerlebniskette gesammelt hat (der
Warenkorb, die Klicks im Internet), um einem spezifischen (wenn auch nicht
namentlich bekannten) Individuum im Austausch einen Vorteil zu verschaffen.
2. Auswählen: Manchmal reicht es schon, die
einfachsten Vorlieben abzufragen, um dem Kunden das Gefühl zu geben, AUSWÄHLEN
zu können. Dafür muss man das Individuum nicht eindeutig identifizieren. Das
unabhängige deutsche Webportal Verivox, das die Preise von Energie und
Telekommunikation vergleicht, hat ebenfalls dieses Level der „Geben und Nehmen
Prinzipen“ gemeistert. Nachdem die User sich als Privatperson oder als
Geschäftkunde geoutet haben, werden sie automatisch zum richtigen Startpunkt
für ihre Recherche weitergeleitet. Gibt eine Privatperson dann noch zusätzliche
Fakten an, seine Postleitzahl und die ungefähre Menge an benötigtem Strom,
bekommt er eine Liste mit den Top-Angeboten für diese Spezifikation. Er kann
noch mehr AUSWÄHLEN, wenn er kaufentscheidende Vorlieben angibt, etwa den
Wunsch nach erneuerbarer Energien oder nach einer kurzen Vertragslaufzeit. Verivox
nutzt diese Vorgaben, um eine passende AUSWAHL von Angeboten zu präsentieren –
und das, ohne ein grosse Menge an persönlichen Angaben abgefragt zu haben. Erst
wenn sich der Kunde für ein Angebot entschieden hat, braucht Verivox Daten für
den Vertragsabschluss. In diesem späten Stadium der Kundenerlebniskette ist man
aber auch eher geneigt, etwas von sich preiszugeben, jedenfalls wenn man als
Gegenleistung Verivox’ Service bekommt.
3. Austauschen: Das Austausch-Prinzip kommt zur
Geltung, sobald ein Kunde oder User beginnt, Auskunft über sich selbst zu geben,
und er davon ausgeht, dass diese Informationen aufgenommen und benutzt werden.
Normalerweise beginnt der AUSTAUSCH damit sich zu identifizieren, sei es mit
einer e-Mail-Adresse, einem (ggf. falschen) Namen oder einer Adresse. Wichtig ist nur, dass das Unternehmen damit
den Kunden eindeutig zuordnen und als bekanntes Individuum ansprechen kann.
Panasonic nutzt
Verlosungsaktionen, die über online-Touchpoints und den Einzelhandel laufen, um
auf seine Produkte und Services hinzuweisen. Im AUSTAUSCH für die Gewinnchance
müssen Teilnehmer Panasonic mit Kontaktdaten versorgen - wie sollten sie auch sonst
die Gewinnbenachrichtigung bekommen? Es kann eine e-Mail oder postalische
Adresse sein. Man darf ein Kreuzchen machen, wenn man zusätzliche
Produktinformationen haben möchte, obligatorisch ist das nicht. Das Unternehmen
hat gut verstanden, worum es bei Touchpoints und dem fairem Umgang mit
Kundendaten geht.
Ganz selbstverständlich läuft
dieser AUSTAUSCH von persönlichen Daten und einer Dienstleistung ab, wenn ein
Kunde ein Produkt bestellt und der Verkäufer es liefern soll.
Gleiches gilt bei Interaktionen in
sozialen Medien. Noch mehr Angaben als auf Facebook werden bspw. bei der
Partnersuche gemacht. Im AUSTAUSCH für die Chance, einen passenden Partner zu
treffen, geben Nutzer sehr viele persönliche Fakten und Vorlieben an.
Offensichtlich erwarten sie einen hohen Gegenwert.
4. Konvertieren: Diese Grundregel wird für
Kundenbindungs- oder Bonuspunkt-Programme genutzt. Im Tausch für alle Arten
persönlicher Daten und für Informationen zu Vorlieben bekommt der Kunde Punkte.
Üblicherweise fallen diese Punkte bei einem Kauf an. Sie haben einen Wert, weil
sie später in Güter oder Dienstleistungen KONVERTIERT werden können.
Dieser zukünftige Wert gilt als
angemessene Gegenleistung dafür, an unzähligen Touchpoints Informationen
sammeln zu dürfen. Sobald ein Kunde seine Kundenkarte nutzt - sei es um seinen
Punkte-Kontostand online zu checken, um im Internet nach Rabatt-Coupons zu
suchen oder beim Einkaufen bei Partner-Organisation des Kartenherausgebers -
hinterlässt er seine Daten. Diese tauscht er wissentlich und freiwillig ein
gegen einen wahrgenommenen zukünftigen Wert.
Das KONVERTIEREN-Prinzip muss
nicht immer mit Einkäufen zu tun haben. „Kunden-helfen-Kunden“-Websites von Unternehmen
wie Dell oder Swisscom ermöglichen Mitgliedern der Community jenen Ratgebern,
die ihnen am besten geholfen haben, Punkte zu geben. Diese Punkte sind nicht
eintauschbar, sie sorgen aber für ein gewisses Renommee, zeigen also
Anerkennung. Die Dienstleistung „Helfen“ wird über die Punkte KONVERTIERT in
„Respekt“.
Diese Prinzipien der
Gegenseitigkeit können frei kombiniert werden. In Foren oder Communities im
Internet bieten führende Unternehmen unterschiedliche Ebenen der ausgewogenen
Gegenseitigkeit an. Ein User kann die Beiträge in einem Forum lesen, ohne sich
selbst identifizieren zu müssen (AUSWÄHLEN), aber um auf dem neuesten Stand
gehalten zu werden oder Zusammenfassungen zu bekommen, muss er seine Interessen
nennen und eine e-Mail-Adresse hinterlegen. Um selbst einen Beitrag zu
verfassen (AUSTAUSCH), werden zusätzliche persönliche Angaben gefordert, der
volle Name etwa und Infos zu Vorlieben, z.B. die Genehmigung zur
Kontaktaufnahme. Will man in einem Kunden-Forum als glaubwürdiger Experte vorgestellt
werden, muss man schon sehr vieles angegeben und geleistet haben (KONVERTIEREN).
Wenn man die unterschiedlichen Prinzipien
der Gegenseitigkeit kennt, fällt es erheblich leichter, systematisch Daten von
Kunden und potentiellen Käufern zu sammeln. Denn: Während der Privatheitsgrad
von unterschiedlichen Informationen in den jeweiligen Kundensegmenten
differenziert betrachtet wird, sind die Grundregeln für Gegenseitigkeit und
damit für die Gewinnung von Informationen immer gleich.
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