Outside Insight – die vergessene Trendkategorie

Launige Worte zum Einstieg: Bevor wir uns missverstehen. Es geht hier nicht nur um Customer Feedback. Aber auch. Es geht hier genauso um die systematische Evaluation und das Verständnis für die langfristigen Werte des Kunden. In den letzten zwei Jahren haben wir anhand der Methodik der „Sequential Incident Laddering Technique“ (von Jüttner et al. 2013) versucht zu verstehen, inwiefern Unternehmen nicht nur nach den positiven und negativen Erlebnissen der Kunden fragen, sondern diese auch danach untersuchen, welche Konsequenzen ein Erlebnis für den gefühlten oder den realen Lebensalltag eines Kunden hat, und inwiefern das Unternehmen damit die langfristigen Werte, Ziele oder Bedürfnisse des Kunden versteht und bedient. Fazit war: Hier bewegt sich wenig, weil gerade das Verständnis für den Lebensalltag und die Werte häufig nicht als „vordringlich interessant“ angesehen werden. Lieber sprechen gerade Grossunternehmen heute über ihre eigenen Werte. Daher haben wir uns entschlossen, diese Kategorie inhaltlich breiter zu fassen und als „Outside Insight“ zu bezeichnen.

Was ist denn Outside Insight?

Damit meinen wir jegliche Form der Messung von Kundenwahrnehmung. Klar beginnt diese in einer sehr fundamentalen Ausprägung bei den standardisierten Kennzahlen des Net Promotor Scores (NPS), der Kundenzufriedenheit (CSAT) und des Customer Effort Scores (CES). Deren Definition ist reichlich bekannt und die entsprechenden Kennzahlen und deren zugrunde liegende Kundenbefragung wird weltweit breit verwendet. So findet der NPS heute schon bei zwei Dritteln der Fortune 1000, der weltweit grössten börsennotierten Unternehmen, Eingang in die Unternehmenssteuerung. Dementsprechend haben die meisten Unternehmen hier schon ihre Systeme auf die strukturierte Erhebung und Verarbeitung eines in Kennzahlen erhobenen Kundenfeedbacks ausgerichtet.

Darüber hinaus stellt sich jedoch die Frage des Einbezugs eines nicht strukturiert erhobenen Feedbacks in Form von Beschwerden und in Form von Bewertungen und Rezensionen auf Google, TripAdvisor, Facebook, Amazon und weiteren gängigen Online-Plattformen. Dabei stellt sich die Frage, wie diese Äusserungen meist enttäuschter, seltener jedoch begeisterter Kunden mit den durch das Unternehmen strukturiert erhobenen Untersuchungen zusammengebracht und integriert zum Management von Kundenerlebnissen herangezogen werden können.

Letztlich bleiben diese zwei Arten von Outside In- sights aber nur episodisches Stückwerk. Natürlich gelingt es Unternehmen dadurch, Missstände und schlechte Kundenerlebnisse aufzudecken und das Gesamterlebnis zu optimieren. Man tut die Dinge, die man ohnehin im Rahmen des Customer Journey Managements macht, richtig. Aber: tut man auch die richtigen Dinge? Ein hoher Reifegrad zeichnet sich in diesem Trend dadurch aus, dass die Customer Journey in ihren einzelnen Episoden eben nicht durch internes Unternehmenswissen, sondern extern durch geeignete Methoden direkt am Kunden erforscht wurde. Hier stehen seit Jahrzehnten Methoden wie die „Sequential Incident Technique“ (SIT) zur Verfügung. Gerade in deren freier Anwendung, bspw. für ein Telekommunikationsunternehmen („In welchem Zusammenhang haben Sie zum ersten Mal an einen neuen Mobilfunkanbieter gedacht? Was haben Sie dann gemacht?“) orientieren sich die Episoden der Journey an den natürlichen episodischen Erzählweisen der Kunden.

In einem sehr hohen Reifegrad dieses Trends kann ein Unternehmen aber nicht nur die Customer Journey komplett aus Kundensicht bestimmen und feststellen, wo welche Kunden was erleben, sondern auch verstehen, was ein positives oder negatives Erlebnis für den Alltag des Kunden bedeutet. Kombiniert man nun die SIT mit den Erkenntnissen und Methoden der angewandten Means-End-Analyse, kann man Kunden verhältnismässig leicht nach jedem Erlebnis dazu befragen,

  1. ob dieses Erlebnis als positiv oder negativ wahrgenommen wurde

  2. was dieses Erlebnis für den Alltag des Kunden bedeutet und

  3. warum dem Kunden genau das wichtig ist.

Letztere Antwort repräsentiert Bedürfnisse, Ziele und Werte des Kunden. Das Wissen darum kann man zur Positionierung der eigenen Marke nutzen, die Gestaltung der Produkte und Dienstleistungen, die damit verbundenen Erlebnisse und die Kommu- nikation danach ausrichten. Unternehmen stellen gerade fest, dass eine glaubwürdige Positionierung beispielsweise in Bezug auf den Wert „Nachhaltigkeit“ matchentscheidend für das Überleben am Markt sein kann.

Das versteht man am Besten anhand eines Beispiels. Untersucht man Erlebnisse bspw. mit der Deutschen Bahn oder den Schweizerischen Bundesbahnen, äussern Kunden gerne, dass sie den reibungslosen Ablauf schätzen, dass sie von A nach B gefahren werden, dass die Bahn bequeme Sitze hat und dass es die schnellste Art der Fortbewegung im Inland ist. Konsequenterweise bedeutet das für Sie, dass sie sich auf andere Dinge konzentrieren können als zu fahren, dass sie sich auf die Bahn verlassen, Termine eingehalten werden und das Ganze gut für die Umwelt sei. Befragt man dieselben Kunden nun, warum das für sie wichtig ist, äussern Sie, dass Sie durch die Bahnfahrt "mehr Zeit für sich selbst haben". Die Bahn hat das auch verstanden und hat diesen Wert in die Werbung übernommen, wie die kleine Abbildung zeigt. Aber - und das ist wohl der zentrale Unterscheid zwischen der sehr zuverlässigen SBB und - naja - der DB, dann sollte das auch gut funktionieren. Wenn Werte, Versprechen und dessen Lieferung gut übereinstimmen entsteht eine wirklich positive Customer Experience.  

Es geht also zusammenfassend darum, aus Kundensicht die richtigen Dinge zu tun und diese Dinge richtig zu machen. Und genau um diesen Sachverhalt ist es bislang (man sieht es am Beispiel DB) mager bestellt. Zwar sind hier Dienstleister beispielsweise mit der Errichtung von Kunden-Beiräten und-Panels dabei, die dafür notwendige Infrastruktur zu schaffen  (wie bspw. die Basler Kantonalbank Gruppe, wie ich in einem Podcast berichten durfte), aber der systematische Rückfluss der Ergebnisse solcher „Outside Insights“ zur kundenorientierten Entscheidungsfindung wird noch zu wenig berücksichtigt. Vor allem werden einzelne Aspekte der oben genannten Themen noch zu wenig an einer Stelle im Unternehmen unter der Überschrift „Customer Insight Management“ gebündelt. 

Betrachtet man die Umsetzung der Methoden in der Praxis, stellt man fest, dass Kundenforschung häufig noch mit den Mustern der Marktforschung betrieben wird (bspw. anonyme Befragung, keine individuelle Ablage der Ergebnisse auf Kunden-Ebene, Arbeit mit Durchschnittswerten). Das hängt jedoch sehr vom verfügbaren Methodenwissen der einzelnen Organisation ab. Daher stellen wir fest, dass dieser Trend sich heute von der Vision bis in den Bereich der Akzeptanz bewegt. Viele Unternehmen sind sich dessen bewusst, dass sie ihre Kunden besser „erforschen müssen“, wissen jedoch noch zu wenig, wie. Mit der breiten Diskussion über Methoden und Vorgehensweisen und der einfacheren Um- setzung durch Unterstützung mit spezifischen Tools gehen wir jedoch davon aus, dass sich der Trend im Vergleich zu anderen Prozessthemen verhältnismässig schnell durchsetzt und bereits in zwei Jahren das „Akzeptanzniveau“ erreicht.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Swiss Contact Day mit golden Headset und EVA

CRM Trends 2012: Ein Geben und Nehmen – Wie kommen Unternehmen an Kundendaten und was geben sie dafür?

CEX Trendradar 2023: Die grosse Chance in Krisenzeiten