Der CEX Trendradar: Sinnvoll automatisieren mit der Value Irritant Matrix
Launige Worte zum Einstieg: Heidernei. Es ist schon spannend, was so im deutschsprachigen Raum rund um Corona inhaltlich so geboten wird. Während gerade Schulen, Künstler, Medien Dienstleistungsunternehmen und Hochschulen mit höchster Kreativität versuchen, ihre Kunden in dieser Zeit mit qualitativ hochwertigen Inhalten weiter zu bedienen, trennt sich im eCommerce beispielsweise auf krasseste Art und Weise Spreu vom Weizen. Beispiel gefällig? Gerne. Ich habe mir im Rahmen von "pimp my Homeoffice" ein neues Mikro fürs Podcasten kaufen wollen. Beraten von Alex Wunschel, dem Meister des Sounds. Gewünschtes Modell bei Amazon nicht verfügbar, bei Digitec nicht verfügbar, bei Interdiscount verfügbar. Lieferbestätigung kommt. Lieferdatum in drei Tagen. Wow. Nach drei Tagen: nix. Kein gerät, keine Versandmail, keine Mail, das vertröstet. Nix.
Anruf bei Interdiscount. Automatische Ansage: "Momentan sind alle unsere Mitarbeiter besetzt. Versuchen Sie es an einem anderen Tag. Oder schreiben Sie uns ein Mail an Contactcenter@interdiscount.ch. Aber schreiben Sie uns bitte keine Mail, in der es um Lieferzeiten geht. Wir wissen es nicht." Hey Kunde, Du störst. Gleichentags storniert. Noch nicht einmal eine Eingangsbestätigung des Mails erhalten. Bei Amazon bestellt. 12 Tage Lieferfrist wird angegeben. Gerät war vier Tage später da. "Real Artists Ship", hat der späte Jobs gesagt! 14 Tage später erneuter Anruf bei Interdiscount. Gleiche Ansage. Geld von Interdiscount wohl schlussendlich verloren. Alles schöne Vorlagen für meine Keynote "Vorhölle eCommerce - was Kunden richtig sauer macht" anlässlich der Digital Commerce Award Verleihung am 15. September in Zürich.
So etwas passiert in Profifirmen nicht. Denn in diesem Zusammenhang können viele Dialoge automatisiert werden. Angefangen vom Autoreply bei der Mail. Und dafür gibt es auch Instrumente. Im Rahmen des CEX Trendradars 2020 haben Harald Henn und ich beispielsweise in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Value Irritant Matrix analysiert. Und den folgenden kleinen Text habe ich gestern auch im CMM360 der wunderbaren Meike Tarabori publiziert:
Sinnvoll automatisieren mit der Value Irritant Matrix
Oft ist bei allen Digitalisierungs-Anstrengungen nämlich nicht klar, welche digitalen Initiativen einem strategischen Plan folgen und wie diese den Nutzen für den Kunden oder die Profitabilität für das Unternehmen steigern. Mit diesem Blog-Artikel soll ein solches koordiniertes Vorgehen skizziert werden. Die Grundidee ist es dabei festzustellen, bei welchen Dialogen Kunde und Unternehmen gleichzeitig Interesse am persönlichen Kontakt haben. Nur hier kommen wertstiftende Gespräche zustande. Ein bewährtes Analysewerkzeug ist in diesem Zusammenhang die von Bill Price entwickelte Value-Irritant Matrix:
Danach wird einerseits aus der Sicht der Unternehmung überlegt, ob diese an einem persönlichen Dialog mit dem Kunden unter Service-Gesichtspunkten interessiert ist, weil sie etwas über ihre Produkte und Dienstleistungen lernen kann, sich dadurch Ideen für Einsparungen ergeben sowie, ob sich durch den Kontakt eine Chance ergibt, weitere Produkte oder Leistungen zu verkaufen oder eben nicht (wie offenbar Interdiscount!). Andererseits wird systematisch die Perspektive des Kunden auf den Servicekontakt eingenommen. Ist der Kunde wirklich an einem persönlichen Kontakt interessiert, weil er Antworten auf seine Fragen oder einen Rat bekommt und im Idealfall Geld sparen kann, oder sieht er gar keine Notwendigkeit, mit einem Unternehmen in Kontakt zu treten und empfindet den Kontakt als ärgerlich (wie beispielsweise ich)?
Besteht eine Interessendivergenz (hat also der Kunde ein hohes Interesse, eine Problemlösung zu erhalten, das Unternehmen schätzt diesen Kontakt vor allem als zusätzliche Kosten ein), sollte der Kontakt automatisiert werden. Das ist vor allem da spannend, wo Kunden immer wieder die gleichen Fragen stellen. In diesem Zusammenhang geht es häufig um das Verständnis der Funktionsweise von Produkten und Dienstleistungen, auch Self Service genannt. Die Royal Bank of Scotland (RBS) hat so beispielsweise zu den häufigsten Service-Vorfällen im Bereich des E-Banking unterhaltsame Erklärvideos produziert, die für den Kunden einen hohen Mehrwert darstellen. Ein anderer, in den letzten Monaten vieldiskutierter Ansatz, ist der Einsatz von Voice- oder Chatbots, wie ihn beispielsweise Swisscard AECS einsetzt, um einzelne Business Prozesse vollständig zu automatisieren. Über den Nutzen von Chatbots habe ich übrigens auf dieser Seite mit Sophie Hundertmark gesprochen.
Die Value-Irritant Matrix unterstützt jedoch auch im umgekehrten Fall, dass das Unternehmen darauf angewiesen ist, dass der Kunde einen Kontakt mit dem Unternehmen hat und beispielsweise im Hinblick auf Compliance-Vorgaben bestimmte Informationen preisgibt oder bestätigt. Derartige Kontakte empfinden Kunden häufig als lästig. Hier gilt es, die Kontakte, wie beispielsweise einen Check-In oder Teilkontakte eines Prozesses wie eine notwendige Identifikation des Kunden, möglichst zu vereinfachen. Die vielfältigen Ansätze in mehreren Branchen zum Online-Self-Onboarding zeigen den Erfolg solcher Ansätze. Gerade das internationale Wachstum von Finanz- unternehmen wie Revolut oder N26 zeigt auf, wie erfolgreich Unternehmen sein können, die gleichzeitig auf «Einfachheit» und «Automatisierung» setzen.
Doch wie kann ein Unternehmen nun konkret dieses Analyseinstrument einsetzen? Die meisten Kontaktanlässe kann man aus den operativen Contact Center Systemen herauslesen. Damit ist häufig auch klar, welche Kundenanliegen welche Kontaktvolumina verursacht. Doch gerade die Zuordnung zu den Quadran- ten ist firmenspezifisch. Beispiel gefällig? Während etwa eine Telekom- munikationsfirma eine Adressänderung durch den Kunden als einen primär kostengenerierenden Vorgang ein- schätzt, wird ein Versicherer seine Verkaufschancen sehen, da er ja dem Kunden eine Haushalts- oder Wertsachenversicherung verkaufen kann. Wichtig ist daher, die die Kosten- und Umsatztreiber des Unternehmens in der Tiefe zu verstehen. Gleichzeitig gilt es jedoch, auch die Sicht des Kunden und seine Einschätzung zur „Werthaltigkeit“ der einzelnen Dialoge des Unternehmens realistisch einschätzen zu können.
Wenn die Matrix einmal steht, kann ein Unternehmen für jeden Case der Eliminierung, Vereinfachung und Automation einen kostenbasierten Business Case berechnen. In Bezug auf die Ausschöpfung der werthaltigen Gespräche kann man abschätzen, welcher Mehrumsatz aus der zusätzlichen Gesprächszeit resultiert. Doch nun ergeben sich viele Fragen:
Der Wandel berührt also nicht nur Prozesse und Technik, sondern gerade auch die Menschen, die in diesem Change begleitet werden müssen, neue Fähigkeiten erlernen sollen oder neue Systeme bedienen können.
Spannenderweise haben das inzwischen auch die Lieferanten von Kundendialog-Infrastruktur verstanden. Und erweitern den Einsatz von Machine Learning auch in die Richtung der Value Irritant Matrix. Denn mit gezieltem Training kann man den Contact Center Anwendungen beibringen, welche Dialoge mit welcher Wahrscheinlichkeit vom Kunden und vom Unternehmen als erfolgreich angesehen werden. Aus der Kombination dieser Faktoren zusammen mit dem Skillprofil der gerade verfügbaren Agenten kann so gemäss der Value Irritant Matrix zwischen einem automatisierten und einem persönlichen Kontakt entschieden werden. Aus dem Erfolg dieser Entscheidung wiederum kann für die Kapazitätsplanung gelernt werden. Die Firma Genesys zeigte bei ihrer Online Konferenz anlässlich der "CCW in Zeiten von Corona" bereits funktionsfähige Anwendungen.
Das lässt zwar auf eine erfolgreiche Digitalisierung hoffen, zeigt aber auch, dass derartige Anwendungen sich zunächst nur für Unternehmen mit einem grossen Anrufvolumen lohnen, da hier aufwendig eine KI trainiert werden muss. Einen solchen Zusammenhang zeigt auch der von Harald
Henn und mir entwickelte CEX Trendradar. Die Range zwischen Gross-Unternehmen, die einen Prototyp entwickeln und die Value Irritant Matrix bis 2022 komplett bespielen können, und den übrigen Firmen, für die ein solches Verfahren Vision bleibt, dürfte sukzessive grösser werden.
Aber ich bezweifle, dass es Interdiscount dann noch gibt.
Anruf bei Interdiscount. Automatische Ansage: "Momentan sind alle unsere Mitarbeiter besetzt. Versuchen Sie es an einem anderen Tag. Oder schreiben Sie uns ein Mail an Contactcenter@interdiscount.ch. Aber schreiben Sie uns bitte keine Mail, in der es um Lieferzeiten geht. Wir wissen es nicht." Hey Kunde, Du störst. Gleichentags storniert. Noch nicht einmal eine Eingangsbestätigung des Mails erhalten. Bei Amazon bestellt. 12 Tage Lieferfrist wird angegeben. Gerät war vier Tage später da. "Real Artists Ship", hat der späte Jobs gesagt! 14 Tage später erneuter Anruf bei Interdiscount. Gleiche Ansage. Geld von Interdiscount wohl schlussendlich verloren. Alles schöne Vorlagen für meine Keynote "Vorhölle eCommerce - was Kunden richtig sauer macht" anlässlich der Digital Commerce Award Verleihung am 15. September in Zürich.
So etwas passiert in Profifirmen nicht. Denn in diesem Zusammenhang können viele Dialoge automatisiert werden. Angefangen vom Autoreply bei der Mail. Und dafür gibt es auch Instrumente. Im Rahmen des CEX Trendradars 2020 haben Harald Henn und ich beispielsweise in diesem Zusammenhang die Entwicklung der Value Irritant Matrix analysiert. Und den folgenden kleinen Text habe ich gestern auch im CMM360 der wunderbaren Meike Tarabori publiziert:
Sinnvoll automatisieren mit der Value Irritant Matrix
Oft ist bei allen Digitalisierungs-Anstrengungen nämlich nicht klar, welche digitalen Initiativen einem strategischen Plan folgen und wie diese den Nutzen für den Kunden oder die Profitabilität für das Unternehmen steigern. Mit diesem Blog-Artikel soll ein solches koordiniertes Vorgehen skizziert werden. Die Grundidee ist es dabei festzustellen, bei welchen Dialogen Kunde und Unternehmen gleichzeitig Interesse am persönlichen Kontakt haben. Nur hier kommen wertstiftende Gespräche zustande. Ein bewährtes Analysewerkzeug ist in diesem Zusammenhang die von Bill Price entwickelte Value-Irritant Matrix:
Danach wird einerseits aus der Sicht der Unternehmung überlegt, ob diese an einem persönlichen Dialog mit dem Kunden unter Service-Gesichtspunkten interessiert ist, weil sie etwas über ihre Produkte und Dienstleistungen lernen kann, sich dadurch Ideen für Einsparungen ergeben sowie, ob sich durch den Kontakt eine Chance ergibt, weitere Produkte oder Leistungen zu verkaufen oder eben nicht (wie offenbar Interdiscount!). Andererseits wird systematisch die Perspektive des Kunden auf den Servicekontakt eingenommen. Ist der Kunde wirklich an einem persönlichen Kontakt interessiert, weil er Antworten auf seine Fragen oder einen Rat bekommt und im Idealfall Geld sparen kann, oder sieht er gar keine Notwendigkeit, mit einem Unternehmen in Kontakt zu treten und empfindet den Kontakt als ärgerlich (wie beispielsweise ich)?
Besteht eine Interessendivergenz (hat also der Kunde ein hohes Interesse, eine Problemlösung zu erhalten, das Unternehmen schätzt diesen Kontakt vor allem als zusätzliche Kosten ein), sollte der Kontakt automatisiert werden. Das ist vor allem da spannend, wo Kunden immer wieder die gleichen Fragen stellen. In diesem Zusammenhang geht es häufig um das Verständnis der Funktionsweise von Produkten und Dienstleistungen, auch Self Service genannt. Die Royal Bank of Scotland (RBS) hat so beispielsweise zu den häufigsten Service-Vorfällen im Bereich des E-Banking unterhaltsame Erklärvideos produziert, die für den Kunden einen hohen Mehrwert darstellen. Ein anderer, in den letzten Monaten vieldiskutierter Ansatz, ist der Einsatz von Voice- oder Chatbots, wie ihn beispielsweise Swisscard AECS einsetzt, um einzelne Business Prozesse vollständig zu automatisieren. Über den Nutzen von Chatbots habe ich übrigens auf dieser Seite mit Sophie Hundertmark gesprochen.
Die Value-Irritant Matrix unterstützt jedoch auch im umgekehrten Fall, dass das Unternehmen darauf angewiesen ist, dass der Kunde einen Kontakt mit dem Unternehmen hat und beispielsweise im Hinblick auf Compliance-Vorgaben bestimmte Informationen preisgibt oder bestätigt. Derartige Kontakte empfinden Kunden häufig als lästig. Hier gilt es, die Kontakte, wie beispielsweise einen Check-In oder Teilkontakte eines Prozesses wie eine notwendige Identifikation des Kunden, möglichst zu vereinfachen. Die vielfältigen Ansätze in mehreren Branchen zum Online-Self-Onboarding zeigen den Erfolg solcher Ansätze. Gerade das internationale Wachstum von Finanz- unternehmen wie Revolut oder N26 zeigt auf, wie erfolgreich Unternehmen sein können, die gleichzeitig auf «Einfachheit» und «Automatisierung» setzen.
Doch wie kann ein Unternehmen nun konkret dieses Analyseinstrument einsetzen? Die meisten Kontaktanlässe kann man aus den operativen Contact Center Systemen herauslesen. Damit ist häufig auch klar, welche Kundenanliegen welche Kontaktvolumina verursacht. Doch gerade die Zuordnung zu den Quadran- ten ist firmenspezifisch. Beispiel gefällig? Während etwa eine Telekom- munikationsfirma eine Adressänderung durch den Kunden als einen primär kostengenerierenden Vorgang ein- schätzt, wird ein Versicherer seine Verkaufschancen sehen, da er ja dem Kunden eine Haushalts- oder Wertsachenversicherung verkaufen kann. Wichtig ist daher, die die Kosten- und Umsatztreiber des Unternehmens in der Tiefe zu verstehen. Gleichzeitig gilt es jedoch, auch die Sicht des Kunden und seine Einschätzung zur „Werthaltigkeit“ der einzelnen Dialoge des Unternehmens realistisch einschätzen zu können.
Wenn die Matrix einmal steht, kann ein Unternehmen für jeden Case der Eliminierung, Vereinfachung und Automation einen kostenbasierten Business Case berechnen. In Bezug auf die Ausschöpfung der werthaltigen Gespräche kann man abschätzen, welcher Mehrumsatz aus der zusätzlichen Gesprächszeit resultiert. Doch nun ergeben sich viele Fragen:
- Wie können Dialoge genau nutzenstiftender gestaltet werden? Wie sieht die verbesserte Customer Experience aus? (genau Interdiscount, denkt mal scharf nach!)
- Was passiert, wenn viele Anliegen deutlich weniger Manpower erfordern? Wo erfordern die verbleibenden Dialoge genau ein verändertes Skillprofil und damit Ausbildung?
- Welche prozessualen Veränderungen sind notwendig, um Dialoge, die sich aus Beschwerden ergeben, zu eliminieren? Wie können Closed Loop Prozesse tatsächlich geschaffen werden?
Der Wandel berührt also nicht nur Prozesse und Technik, sondern gerade auch die Menschen, die in diesem Change begleitet werden müssen, neue Fähigkeiten erlernen sollen oder neue Systeme bedienen können.
Spannenderweise haben das inzwischen auch die Lieferanten von Kundendialog-Infrastruktur verstanden. Und erweitern den Einsatz von Machine Learning auch in die Richtung der Value Irritant Matrix. Denn mit gezieltem Training kann man den Contact Center Anwendungen beibringen, welche Dialoge mit welcher Wahrscheinlichkeit vom Kunden und vom Unternehmen als erfolgreich angesehen werden. Aus der Kombination dieser Faktoren zusammen mit dem Skillprofil der gerade verfügbaren Agenten kann so gemäss der Value Irritant Matrix zwischen einem automatisierten und einem persönlichen Kontakt entschieden werden. Aus dem Erfolg dieser Entscheidung wiederum kann für die Kapazitätsplanung gelernt werden. Die Firma Genesys zeigte bei ihrer Online Konferenz anlässlich der "CCW in Zeiten von Corona" bereits funktionsfähige Anwendungen.
Das lässt zwar auf eine erfolgreiche Digitalisierung hoffen, zeigt aber auch, dass derartige Anwendungen sich zunächst nur für Unternehmen mit einem grossen Anrufvolumen lohnen, da hier aufwendig eine KI trainiert werden muss. Einen solchen Zusammenhang zeigt auch der von Harald
Henn und mir entwickelte CEX Trendradar. Die Range zwischen Gross-Unternehmen, die einen Prototyp entwickeln und die Value Irritant Matrix bis 2022 komplett bespielen können, und den übrigen Firmen, für die ein solches Verfahren Vision bleibt, dürfte sukzessive grösser werden.
Aber ich bezweifle, dass es Interdiscount dann noch gibt.
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