Vom Omnichannel zum Multiexperience

Launige Worte zum Einstieg: Schon wieder (fast) September. Die Zeit rast. Zeitgeistig podcastet man mehr, als dass man bloggt. Ob das gut ist, weiss ich auch nicht genau. Der CEX Trendradar 22 ist mehr Arbeit than ever und Studierende wollen auch wieder ordentlich gegendert vor Ort bespasst werden. Hach. Und dann noch Gartner mit...

Multiexperience - was ist das nur?

Zugegeben, mit dem Begriff «Omnichannel» war ich nie glücklich. Vor allem, weil da der alte Begriff des Kanals drinsteckt. Ein Kanal, so die Logik aus dem klassischen 4P Marketing impliziert den Weg, den eine Botschaft (Kaufen Sie!) vom Sender (dem Unternehmen) zum Empfänger (dem Kunden) zurücklegt, damit der dann der Botschaft gemäss handelt - also kauft. Diese Idee ist für die Anforderungen der anbrechenden 20er Jahre dann doch ein wenig zu einfach, zumal sich fast alle Publikationen des Customer Experience Managements um die Ausgestaltung von Erlebnissen drehen. Und die meisten Kundenerlebnisse entstehen halt durch Dialoge an bestimmten Berührungspunkten. Touchpoints statt Kanäle also. 

 

Das «Omni» dagegen stand für Koordination der bisher existierenden Kanäle für durchgehende Konversationen. Das hingegen ist ja nun durchaus im Sinne der Kunden. Niemand will dem Unternehmen nicht am Telefon erklären, was er mit dem Mitarbeiter im Shop besprochen hat. Kunden setzen voraus, dass Unternehmen das wissen und sie ihre Geschichte nicht mehrfach erzählen müssen. Omnichannel birgt also als Konzept schon enorme Anforderungen an die Integration der Touchpoints in Bezug auf die Datenhaltung der Kundenhistorie. Aber auch für diese Herausforderung haben die SAPs, BSIs, Microsofts und Salesforce.coms inzwischen valable Lösungen erschaffen. 

 

An der klassischen Inside-out Sicht anhand der «Kanäle» und Produkte auf den Kunden und die weitgehende Organisation grosser Unternehmen in die Abteilungen «Marketing», «Vertrieb» und «Kundenservice» änderte das nichts. Auch werden diese gern noch in «online» und «offline» Teams gegliedert. Kundinnen und Kunden hingegen interessieren diese (rein internen) Verantwortlichkeiten jedoch nicht, sie möchten ihre Bedürfnisse erfüllt sehen und ihren Aufgaben (jobs-to-be-done) nachkommen. 

 

Dieser Diskrepanz trägt jetzt die Technologie-Analyse-Firma Gartner Rechnung und lanciert den Begriff «Multiexperience» als nächsten Reifegrad der Koordination und Konsistenz von Unternehmens-Aktivitäten mit Fokus auf den Kunden. Gartner argumentiert, dass Unternehmen, um sich wirklich auf die Anliegen des Kunden fokussieren zu können, ihre Kundenmanagement-Aktivitäten zukünftig Outside-In planen sollten. Als Grundlage dieser Anpassung sehen die Experten hier die detaillierte Kenntnis der Customer Journey. Dies mit dem klaren Fokus, den Aufwand des Kunden für die Produkt- und Leistungsevaluation, den Kauf und die Beantwortung der damit verbundenen Fragen zu reduzieren. Problemlösung statt Wow-Moment also. So langsam kommt Customer Experience Management in der Realität an. Es gilt in erster Linie, den Kunden nicht zu verärgern. 

 

Jetzt kann man sich in Kundenservice/Contact Center hinstellen und sagen: «Machen wir doch immer schon so!». Das hilft aber nicht, wenn man als Cost-Center wahrgenommen wird und in der Unternehmensleitung niemand auf einen hört und die Budgets nicht da sind. Dieser Fakt resultiert aus dem bereits hinlänglich diskutierten «Silo-Denken» im Unternehmen. Lassen Sie mich das mal an einer Customer Journey verdeutlichen, wie sie in Abbildung 1 dargestellt ist:

 

Abb. 1 Customer Journey und Verantwortlichkeiten nach dem Omnichannel und Siloprinzip

 

Deutlich sieht man, dass unterschiedliche Teile der Journey in der Verantwortung unterschiedlicher Abteilungen liegen. Der Marketing-Abteilung zu verdeutlichen, welche Fragen im Kundenservice durch welches Versprechen zu Beginn der Journey entstehen, ist ein enormer Koordinationsaufwand und damit eben der Schwachpunkt des «Omnichannel»-Ansatzes. Je nachdem, wie die einzelnen Abteilungen geführt und incentiviert werden, ergeben sich Interessenkonflikte. 

 

Denkt man den Multiexperience-Ansatz durch, ist auffällig, dass sich dieser an der vollständigen Customer Journey orientiert. Die Ist-Journey wird aus der Sicht des Kunden durch qualitative Kundenforschungsinstrumente, wie bspw. Die «Sequential Incident Technique» oder gar die «Sequential Incident Laddering Technique» dargestellt. Im Anschluss gilt es, wie im klassischen Customer Journey Mapping «Pains» und «Gains» zu identifizieren und im Rahmen einer idealisierten Soll-Journey neu zu designen. Wichtig ist dabei zu verstehen, dass Multiexperience im Gegensatz zu Omnichannel nicht nur «koordiniert» über die Kanäle, sondern «konsistent» über diese gesamte Soll-Journey vom Unternehmen gestaltet werden kann. Wie lässt sich also nun das Problem der Zuständigkeiten und damit der Arbeitsteilung im Unternehmen überwinden? 

 

Wir schlagen Folgendes vor: 

Konsequent angewendet könnte ein solches Multiexperience Management in die kundenbezogenen Aktivitäten «Content», «Conversion» und «Conversation» unterteilt werden. Zur Illustration möchte ich das in Abbildung 2 zeigen:

 

Abb. 2 Customer Journey und Verantwortlichkeiten nach dem Multiexperience Prinzip

 

Alle drei Arbeitsbereiche sind Customer Journey übergreifend und beziehen sich auf jede Phase der Beeinflussung der Kundenentscheidung für ein Unternehmen. Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass «Conversion», also die systematische Analyse von Cross- und Up-Sellingmöglichkeiten einen zentralen Aufgabenbereich auch nach der ersten Unterschrift unter einem Vertrag oder dem ersten Produktkauf darstellt. Diese Erkenntnis ist meist mit der Konzeption von regelbasierten Outbound Aktivitäten und Marketing-Automation verbunden. Die andauernde Überprüfung der Kundenbeziehung nach möglichen Mehrwerten für das Unternehmen und den Kunden stellt also eine Kernaufgabe im Kontext von Multiexperience dar. Dazu werden natürlich Inhalte benötigt. Je früher in der Customer Journey, umso grössere Bedeutung kommt diesen Inhalten zu, um Entscheidungen des Kunden zugunsten des Unternehmens positiv zu beeinflussen. Das beginnt bei der Frage, wie es das Unternehmen mit seinen Lösungen «in den Kopf des Kunden schafft.» Eine Analyse der grundlegenden Wertemuster der Kundschaft im Rahmen eines «Laddering» gibt hier Einblicke in Werte, Bedürfnisse und Motivationen. Der Arbeitsbereich «Conversation» am Ende spielt diese Inhalte zu Problemlösungszwecken beim Kunden aus. Hier wird vor allem auf die Zeit des Kunden und seinen Aufwand fokussiert, während das Unternehmen Fragen beantwortet und Problem löst. Es gilt strategisch bspw. mit Hilfe der Value-Irritant-Matrix zu entscheiden, welche Dialoge dabei zu automatisieren sind und welche so wertstiftend sind, dass hier entweder ein sehr gutes Kundenerlebnis entsteht, das Unternehmen etwas lernen kann, oder der Dialog eher unter dem Gesichtspunkt «Conversion» verkaufsorientiert geführt werden muss. 

 

Fazit: Die Technologie und die Management Instrumente für einen solchen Change in Richtung Multiexperience liegen heute schon komplett dokumentiert vor. Den Change in den Köpfen anzuregen und in der Organisation zu implementieren, wird die Aufgabe der kommenden Jahre.

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